Donnerstag, 27. Oktober 2016

Nullabor - Zwischenfall #2

Nachdem uns der Kilometerstand vom heutigen Tag 500 Kilometer anzeigte, beschlossen wir, Conny eine Pause zu gönnen und die Fahrt durch den Nullabor erst am darauffolgenden Tag wieder auf uns zu nehmen. Und so parkten wir unser Gefährt an einem Roadhouse im Nichts und machten uns auf den Weg, das menschenleere Outback zu erkunden. Hinter dem Roadhouse sah man in der Ferne weiße Dünen und sogar Anzeichen, dass Meer in Sicht war. Da wir den gesamten Tag im Auto verbracht hatten, beschlossen wir uns querfeldein und zu Fuß auf den Weg zu begeben. "Das halbe Stündchen Laufen wird mal gut tun!", trällerte Lukas munter.

Das halbe Stündchen verwandelte sich schnell in 4 Stunden durch karges Gestrüpp und Büsche, die unsere Beine verkratzen. Die Entfernungen im immer gleich erscheinenden Outback stellten sich als schwer einschätzbar heraus, sodass wir, immer dann, wenn wir uns sicher waren, dass hinter der nächsten Sanddüne das Meer liegen würde, eine weitere Stunde zu laufen hatten. 
Immerhin wurden wir uns so der unbegreiflichen Größe und Leere dieses Landes bewusst, in dem wir für die nächsten Monate unseres Lebens verweilen würden. Hier und da lagen Knochen toter Tiere auf dem Weg, manchmal eine tote Schlange. Da sich auf Lukas' Rücken während der Zeit unseres Walks mindestens 100 Fliegen angesammelt hatten, schlug er in minütlichem Abstand mit den Armen um sich. Die Wüste erschien tot und ausgestorben. Nach einer langen Zeit erreichten wir die letzte Düne, hinter der - man hörte bereits das Rauschen - das Meer liegen würde. Aus unerklärlichen Grund checkte Lukas, bevor wir die letzte Düne bestiegen, seinen Brustbeutel und verzeichnete dabei einen unersetzbaren Verlust: unseren einzigen, für unsere Fahrt am wichtigsten, winzig kleinen Autoschlüssel, der nun irgendwo in einem unfassbar weitem Areal aus Sand, Erde und Gestrüpp schlummerte. 
Wir sahen uns an. Wir waren verloren.
Einen Schlüsseldienst ins tiefste Outback zu bestellen, würde unser gesamtes Budget beanspruchen und ohne Auto würden wir, vermutlich für immer, im kleinen Wüstendorf Eucla, in dem es außer einer Tankstelle nichts gab, was auch nur im weitesten Sinne mit "Zivilisation" in Verbindung gebracht werden könnte, verbleiben. 
Und so saßen wir, während die heiße Mittagssonne vom Himmel prasselte, auf der schneeweißen letzten Düne vor dem Meer, die wir im Angesicht unseres Schicksals nicht mehr überquerten. Schließlich waren wir verloren.

Einige Tränen und alle erdenklichen Todesvisionen später, beschlossen wir, unser Schicksal in die Hand zu nehmen und wenigstens, auch wenn es eine Suche nach der Nadel im Heuhaufen war, den Schlüssel aufzuspüren. Als wären wir Pfadfinder, folgten wir unseren Spuren im weißen Wüstensand, die wir immer wieder verloren, wieder fanden, wieder verloren und letztendlich wieder fanden. Als wir die Wüste durchquert hatten und das riesige Areal aus rotem Sand erreichten, sahen wir unserem Schicksal endgültig in die Augen. Die Spuren waren in der roten Erde nicht mehr zu erkennen. Es war vorbei.

Als die Dämmerung das leere, endlose Land in ein dunkles Rot tauchte und uns die erste Herde Kängurus über den Weg sprang, beschlossen wir, noch ein letztes Mal bis zur letzten Düne vor dem Strand zu laufen und dort - es war das allerletzte Fünkchen, das die Hoffnung hergab - nach unserem Schlüssel zu suchen. Und so machten wir uns zum 2. Mal auf den Weg zu den gigantischen, meterhohen Sanddünen, die das Land durchzogen und uns die Orientierung in der rauen Wildnis immer wieder verlieren ließen. Angekommen an den Dünen - unser eigentliches Ziel, das Meer, hatten wir noch immer nicht gesehen - durchforsteten wir ein letztes Mal den heißen Wüstensand. 

Und dann, urplötzlich, erstrahlte ein winziges, kaum erkennbares Funkeln im mittlerweile rot leuchtenden Wüstensand. Ein Funkeln, das in beiden von uns einen Schrei erlöste, der in der unendlichen Weite der australischen Einöde wiederhallte. Am Boden vor uns lag, glitzernd in der sinkenden Sonne, der Schlüssel unseres geliebten Vans. 
Ja, manchmal ist das Schicksal tatsächlich ein mieser Verräter. Doch nicht heute. 


P.S. Den Nullabor haben wir nun großteils überstanden. Nur die Sonnenbrille, die uns in der Wüste als Wegweiser dienen sollte, blieb leider zurück.















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